Die Zahlen lügen nicht. Studien zeigen, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz in den letzten 40 Jahren von gerade einmal 2 Prozent auf sage und schreibe 17 Prozent gestiegen sind. Zählt man die durchschnittliche Ausfallzeit von knapp 40 Tagen bei psychischen Erkrankungen hinzu, muss man kein Controller sein, um sich die wirtschaftlichen Ausmaße für eine Firma auszurechnen. Ein ganz schlechtes Geschäft mit hoher Infektionsgefahr für das ganze Unternehmen. Diagnose Insolvenz.

Umfangreiche Erhebungen, zB des BKK Dachverbandes haben eine Vielzahl von Ursachen für die stete Zunahme psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz ausgemacht. Schlagworte wären Arbeitsverdichtung, Über- oder Unterforderung, Mobbing, ständige Erreichbarkeit und just in time Kommunikation, Jobunsicherheit, Angst vor Veränderungen, schlechte Führung und Konkurrenzdruck, fehlende Flexibilität und Verantwortung. Zusammengefasst lassen sich die Ursachen auf drei Punkte verdichten:

1.    Fehlende Verstehbarkeit der Arbeit

Was genau tue ich eigentlich?, mag sich mancher an seinem Arbeitsplatz fragen und nach der Wirkung seines Tuns suchen. Findet er oder sie dabei keine Zusammenhänge zwischen dem eigenen Handeln und dem dabei erzielten Ergebnis, macht sich schnell das Gefühl der Ohnmacht und Wirkungslosigkeit breit. Ich kann keine Probleme lösen, wenn ich nicht erkenne, dass mein Handeln Probleme auslöst und ich mein Tun anpassen und verändern müsste. Das widerspricht dem Bestreben des Menschen, lösungsorientiert handeln zu wollen. Zwingen den Mitarbeiter aber einmal festgelegte Abläufe in eine starre Routine, gerät das Verständnis für die eigene Arbeit spätestens dann ins Wanken, wenn sich äußere Bedingungen ändern und die Arbeitsergebnisse hinter den Erwartungen zurückbleiben. Lässt sich das eigene Handeln dann nicht anpassen, weil das Verständnis für das eigene Tun fehlt, kostet das den Mitarbeiter bestenfalls nur die Motivation, oft aber auch seine Gesundheit. Eigene Ressourcen bleiben ungenutzt, während dem Mitarbeiter die Arbeit fremd wird und er sich nicht mehr mit seinem Tun identifiziert. Das kostet Kraft und lässt den Mitarbeiter erschöpft und enttäuscht zurück 

Beispiele:

Programmierer, die acht Stunden ihres Tages Code erstellen, ohne um ihren Anteil am Gesamtprodukt zu wissen, werden ihre Arbeit kaum als wertvoll oder zielführend begreifen. Die bloße Abarbeitung von Wasserfallplanungslisten garantiert noch kein abnahmefertiges Produkt und lässt die Handelnden oft unmotiviert mit den Bruchstücken ihres Tuns zurück.

Auch Bauarbeiter auf staatlichen Großbaustellen, wie dem Berliner Flughafen BER oder Stuttgart21, können ein Lied davon singen, was es heißt, nicht mehr zu verstehen, wofür sie täglich Material von links nach rechts schleppen, um am Ende des Tages doch nichts fertiggestellt zu haben.

Zu guter Letzt geben viele Mitarbeiter auf, wenn es um das Verständnis für sich wandelnde Prozesse infolge der digitalen Transformation geht. Eine diffuse Gemengelage von Apokalypse, Distopie und technischer Überforderung verhindert, dass Menschen ihr Tun den neuen Spielregeln der Industrie 4.0 anpassen. Sie verstehen schlicht nicht, was von ihnen erwartet wird und was die neuen Arbeitsweisen für ihre tägliche Arbeit bedeuten.

Empfehlung an die Unternehmensführung

Lassen Sie Ihre Mitarbeiter wissen, dass sie wertvoll sind, dass und wofür deren Arbeit gut und wichtig ist und welchen Anteil jeder einzelne am Gesamtergebnis hat. Dafür haben Sie Ihre Führungskräfte, die diese Informationen an den jeweiligen Mitarbeiter durchleiten können. Die aber auch dafür Sorge tragen, dass am konkreten Arbeitsplatz eine ausreichend hohe Flexibilität existiert, um auf sich ändernde Anforderungen an die Stelle reagieren zu können. Räumen Sie Steine aus dem Weg, statt Ihren Mitarbeitern Felsbrocken hinzuwerfen und sorgen Sie dafür, dass Abläufe transparent sind, aber auch hinterfragt werden können.

2.    Fehlende Gestaltbarkeit der Arbeit

Menschen sind kreative Wesen, die ohne die Umgestaltung ihrer Umwelt niemals überlebt, geschweige denn die gesamte Welt besiedelt hätten. Inspiration und Neugierde waren und sind die Triebfedern unseres Fortschritts und motivieren uns bei dem, was wir täglich tun. Soweit die Theorie, die Praxis schaut oft ganz anders aus. In vielen Firmen ist die Geschäftsleitung für Ideen zuständig und damit die Personengruppe, die gewöhnlich vom Kunden am weitesten entfernt ist. Entsprechend wenig innovativ fallen die Dienstanweisungen aus und verlassen entweder zur totalen Aufgabe eigenen Denkens oder zum nutzlosen Anrennen mit kreativen Vorschlägen, bis der Akku leer ist und der Burnout Halt sagt. Wir sind keine Maschinen und lassen uns auch ungern von denen unsere Arbeit diktieren. Software aber tut oft genau das. Sie presst uns in ein formales Raster, aus dem heraus sich nichts gestalten oder entwickeln lässt. Function follows form, denn das Programm hat immer Recht. Falscher können Sie nicht liegen, denn Mitarbeiter wollen mitgestalten, wollen Verantwortung übernehmen, sonst bleibt bald nicht mehr als Resignation und bestenfalls Dienst nach Vorschrift. Die einen kündigen laut, die anderen leise. Am Ergebnis ändert das nichts. Wo Kontrolle Autonomie ersetzt und Vertrauen fehlt, stirbt die Motivation zum selbstständigen Denken und aus Visionen werden Krankheitsbilder.

Empfehlung an die Unternehmensführung

Nutzen Sie das brachliegende Kreativpotential Ihrer Mitarbeiter in deren Interesse und dem Ihrer Kunden. Das entlastet Sie, gibt Ihren Mitarbeitern Bedeutung und Wirksamkeit und lässt Sie Produkte entwickeln, die wirklich nachgefragt werden. Eine klassische win-win-win Situation, in der Sie nur dann verlieren, wenn Sie glauben, als einzige zu wissen, was Ihrer Firma guttut. Denn wäre ist die falsche Frage. Der Kunde muss für Ihre Entscheidungen leitend sein, nicht die Vergangenheit oder bloßes Shareholderinteresse, denn von einer insolventen Firma hat niemand etwas. 

3.    Fehlen der Sinnhaftigkeit der Arbeit

Wer kennt sie nicht, die Arbeit für den Papierkorb oder die Schublade des Chefs. Häufen sich diese sinnentleerten Tätigkeiten geht auch die Freude am Tun baden. Arbeit ist ein Menschenrecht und eine sehr wirksame Methode, glücklich zu sein, in seinem Tun einen Wert zu sehen und einem Ziel zu folgen. Fehlt all das oder laufen die Firmenziele meiner Vorstellung von einer gesunden und lebenswerten Welt entgegen, bleiben Sinn und Vision auf der Strecke und meine Bereitschaft, mich einzubringen stirbt. Sinnstiftendes Tun motiviert uns aus dem Kern unserer Persönlichkeit heraus, lässt uns voller Elan und Energie teilhaben am Schaffensprozess und belohnt unseren Einsatz mit dem guten Gefühl, das Richtige getan zu haben. Fehlt der Sinn, bleibt eine leere Hülle unserer Selbst und ein wenig ertragreiches Handeln übrig. Diese entseelte Arbeit löscht das Feuer in uns und lässt uns ausgebrannt zurück, Burnout.

Empfehlung an die Unternehmensführung

Wofür arbeiten Sie selbst? Mit welcher Haltung führen Sie und welchen Beitrag leistet Ihre Firma für die Welt, dem Ihre Mitarbeiter folgen können? Besteht das einzige Ziel Ihres Unternehmens, mehr Umsatz, Gewinn und Wachstum zu erzielen, haben Sie sich von einer gesunden Firma längst verabschiedet. Kein Unternehmen wurde einst für diese Ziele gegründet. Es war eine Idee, die der Welt gefehlt hat und sie ein bisschen besser machen sollte. Dass daran auch Umsätze und Gewinne geknüpft waren, ließ das Unternehmen wachsen, Menschen einstellen und Existenzen sichern. Der Sinn und die Vision aber blieben bestehen. Ändert sich das, ohne dass die Erwartungen der Kunden und Mitarbeiter an das Produkt, die Dienstleistung, das eigene Tun berücksichtigt werden, verliert Ihr Unternehmen seine Daseinsberechtigung.

Oh Mann, kein Hoffnungsschimmer am Firmament?

Unternehmer, die sich mit ihrem Produkt ebenso wie mit den Menschen, für die und von denen dieses hergestellt wird, beschäftigen, wissen um die Gefahren fehlender Verstehbarkeit, Gestaltbarkeit und Sinnhaftigkeit des abverlangten Tuns. Sie hören ihren Angestellten zu, sehen die Ressourcen in ihnen und verorten die Menschen in ihrer Firma auf die Habenseite der Bilanz. Sie geben ihnen Raum und die Möglichkeit, sich auszuprobieren, Ideen einzubringen und Fehler zu machen, um daraus zu lernen.

„Wenn Du Erfolg haben willst, dann verdoppele Deine Fehlerrate“, wusste schon Thomas Watson, der Gründer von IBM.

Werden die täglichen Anforderungen an ein gemeinsames Ziel, dh. eine firmeninterne Vision geknüpft und erfüllen damit die Werte der beteiligten Mitarbeiter, bekommt deren Tuns einen Sinn und das Paradies ist nah. Ora et labora. Gilt das Gegenteil, ist auch die Vertreibung aus dem Garten Eden nicht mehr weit.

Leicht ist das nicht und erfordert eine Haltung, die in den meisten Führungsetagen noch fehlt. So wird die Kultur eines sinnstiftenden Miteinanders, des eigenverantwortlichen Handelns und der aktiven Mitwirkung Aller bei der Formulierung von Firmenzielen nicht über Nacht durch ein Führungskräftetraining, einen Firmenausflug oder Hochglanzbroschüren erreicht. Es bedarf einer vollständigen Erneuerung des Denkens, Fühlens und Handelns auf Leitungsebene, die selten mit dem bisherigen Führungskreis zu erreichen ist. Hier wird der Kulturwandel als erstes ansetzen und in einer neuen Art der Zusammenarbeit und Mitarbeiterführung münden, aus der sich eine Atmosphäre der Unterstützung, des Miteinanders auf Augenhöhe und der wertschätzenden, weil bedürfnisgerechten Begleitung durch Führungskräfte entwickelt.

Utopie?

Noch, aber die Kunden werden mündig und sich von den Angeboten lossagen, die nicht mehr ihren Bedürfnissen entsprechen und damit ihren Sinn verloren haben. Der Bedarf entscheidet und wenn eine Firma diesen Erwartungen nicht mehr gerecht wird, löst sie ein anderes, moderneres, flexibleres oder mitarbeiterorientierteres Unternehmen ab. Am Ende heißt es: the winner takes it all und das bezieht sich auch auf die gesuchten Fachkräfte, deren Mangel als Vorbote der digitalen Transformation Angst verbreitet. Das Employer Branding wird maßgeblich über den Cultural Fit zwischen Mitarbeiter und Unternehmen entscheiden und die sprichwörtliche Spreu vom Weizen der Personalsuchenden trennen. Dabei geht es nicht um bloßes Homeoffice, Gratiskaffee oder ein Firmen-E-bike. Es geht um eine Haltung der Gegenseitigkeit, in der Werte und sinnhaftes Tun die Richtung vorgeben, und um einen Beitrag, den Unternehmen und Mitarbeiter für die Welt leisten wollen. Es braucht Anreize, die über rein pekuniäre Angebote hinweggehen.

Firmen sind gut beraten, wenn sie sich frühzeitig und dauerhaft Gedanken darüber machen, ob die Mitarbeiten in dem, was sie täglich tun, einen Sinn sehen, verstehen, was von ihnen verlangt wird und wofür sie ihre Lebenszeit opfern. Dazu hilft es, sich mit den Mitarbeitern über ein einzelnes Jahresgespräch hinaus zu beschäftigen und ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich und ihre Ideen einzubringen. Helfen Sie als Führungskraft Ihren Mitarbeitern dabei, erfolgreich zu sein und gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Nehmen Sie dazu die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeiter ernst und erklären Sie, wozu Sie welche Entscheidung fällen. Führen Sie dabei so, dass der Laden auch ohne Sie läuft. Ein vermeintlich überflüssiger Chef ist der beste Chef und kann sich echten strategischen Plänen widmen, statt seine kostbare Zeit dem operativen Geschäft zu opfern. Hierfür hat er oder sie idealerweise motivierte und Werte geleitete Mitarbeiter, die in ihrer Arbeit aufgehen und daraus Kraft schöpfen. Das sind die fachlichen Experten, Sie hingegen arbeiten für die Menschen.

Solche Mitarbeiter werden nicht krank, brennen nicht aus oder kündigen. Diese Mitarbeiter retten Ihr Unternehmen und zeigen Ihnen, was der Kunde, respektive der Markt fordert und wohin die Reise geht. Bleiben Sie neugierig, offen für Anregungen und frei von der Annahme, Sie seien unersetzlich.

Wie das geht?

Schritt für Schritt oder Steinchen für Steinchen, ähnlich einer Sanduhr, deren Taille zwar die Schwerkraft nicht stoppt, Ihnen aber Zeit verschafft. Zeit, in der Ihr Unternehmen lernt, sich neu aufzustellen, und geduldig in Zusammenarbeit mit jedem einzelnen Mitarbeiter dafür sorgt, dass die Transformation der neuen Art zu arbeiten nicht nach zwei Wochen und einigen Workshops zurück ins alte Gleisbett springt und Ihre Dampflock vom Transrapid der Konkurrenz überholt wird. Es ist ein mühsamer Weg und nicht jeder Ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte wird ihn bis zum Ende begleiten. Mancher Arbeitsplatz wird sich verändern und mit ihm der darauf Tätige. Tut er das nicht, entfallen Arbeitsplatz und Mitarbeiter zum Vorteil des Unternehmens.

Haben Sie Vertrauen und behalten Sie als Führungskraft den Überblick. Sie sind Vorbild und Visionär, doch die Ideen, Anregungen und Kritiken kommen aus dem Mitarbeiterumfeld und sind überlebensnotwendig. Führen Sie emotional und öffnen Sie Ihr Ohr und Ihre Tür, auf dass auch Sie verstehen, wofür Sie das tun, was Sie tun und am Sinn Ihrer Tätigkeit aktiv mitgestalten können.

 

Dein Kommentar

* Diese Felder sind erforderlich

Diese Webseite nutzt Cookies

Diese Webseite nutzt Cookies. Indem Sie weiterhin auf dieser Webseite navigieren, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden.