Die neue Lust am Arbeiten
Wo gestern noch Stechuhren unseren Arbeitsrhythmus bestimmten, werden sich künftige Mitarbeitergenerationen eine engere Verzahnung zwischen Arbeits- und Privatleben in zweierlei Hinsicht vorstellen können. Zum einen ermöglichen technische Hilfsmittel ein Arbeiten von überall und zu jeder Zeit, zum anderen lassen sich damit private Belange und dienstliche Erwartungen viel flexibler unter einen Hut bringen. Vorausgesetzt, es gibt noch Arbeit oder die passenden Mitarbeiter für freie Stellen.
Dramatische Arbeitsplatzverluste infolge der Digitalisierung werden ebenso prognostiziert, wie andere Auguren einen dramatischen Fachkräftemangel beklagen, der tausende offene Stellen unbesetzt lässt und die Unternehmen an die Grenze der Arbeitsfähigkeit führen soll. Was also tun? Lebenslanges Lernen wäre eine Antwort, gezielte Mitarbeiterentwicklung die andere. Beide zusammen überbrücken erste Engpässe, bis klar ist, welche Berufsbilder künftig überhaupt gebraucht werden. Vielleicht sollten Unternehmensverbände auch Universitäten gründen, um für die eigenen Bedürfnisse erlebnisnah ausbilden zu können.
Den darin Ausgebildeten mag allerdings manch goldene Frucht auf silbernen Tabletts gereicht werden, um sie für die freien Stellen zu interessieren und dort zu halten. Nicht minder aufmerksam gilt es, sich dem bestehenden Personal zu widmen, denn für die interessiert sich die Konkurrenz. Hier zählt moderne Führung und davon möglichst wenig, denn agiles Management setzt auf Selbstverantwortung ohne topdown Direktiven. Damit wird agiles Arbeiten die Lebenswirklichkeit nachwachsender Generationen im Unternehmenskontext bestimmen. Vorausgesetzt, das Unternehmen als produktive Einheit überlebt die Transformation.
Der Mitarbeiter, das goldene Kalb
Führung per Anweisung ist eine aussterbende Art der unternehmensinternen Kommunikation und sollte höchstens dem Kasernenplatz vorbehalten bleiben. Schwerter zu Federkielen war gestern, heute agieren Mitarbeiter idealerweise vernetzt in agilen Teams, die systemübergreifend am Produkt mit dem höchstmöglichen Kundennutzen arbeiten. Diese Teams führen und optimieren sich selbst und bedürfen lediglich eines Aufräumers, wenn Steine im Weg liegen oder Prozesse topdown verändert werden müssten. Führung als Dienstleistung.
Da überrascht es auch nicht, wenn künftige Führungskräfte nicht ihrer fachlichen Leistung wegen Karriere machen, sondern als Vorbild im Umgang mit Menschen im Chefsessel landen. Coaches, wo Hilfe zur Selbsthilfe nötig ist, und Mentoren, wo die persönliche Entwicklung des Mitarbeiters im Vordergrund steht. Es ist nicht mehr und nicht weniger ein Wertewandel, der mit der digitalen Transformation einhergehen sollte, um künftige Mitarbeiter zu finden und zu halten. Wertschätzung, Einbindung und Selbstverantwortung zählen mehr als das Abarbeiten von Zielvereinbarungen und Jahresgesprächen.
Das fachliche Führen geht mehr und mehr auf die wahren Experten im jeweiligen Team über und sorgt dort für eine produktive und kundenorientierte Lösung sich schnell wandelnder Herausforderungen. Das verbindet die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit und gibt ihnen Mitwirkungsmöglichkeiten und damit die Chance, in ihrem Tun einen Sinn zu sehen. Einsame Entscheidungen im Elfenbeinturm der Unternehmensleitung sorgten in der Vergangenheit eher für Personalabbau und Insolvenzen. Die Zeit ist reif für die Schwarmintelligenz Ihrer Mitarbeiter. Kluge Führungskräfte erkennen das und passen sich an, solange sich Menschen überhaupt noch anstellen lassen wollen.
Mensch versus Maschine
Agiles Arbeiten und Führen wird sich mehr und mehr digitaler Arbeitsmittel bedienen, die breite Datenströme logisch miteinander verknüpfen und Ergebnisse finden, für die bisher weder ausreichend Informationen noch geeignete Auswertungstools zur Verfügung standen. Dazu bedarf es Algorithmen, die heimlichen Taktgeber unseres künftigen Lebens, die den gläsernen Kunden erschaffen, um diesem die Wünsche von den Augen abzulesen, bevor er selbst davon weiß. Die Arbeit wird es dann sein, die dafür nötigen Produkte und Dienstleistungen dem Kunden zugänglich zu machen.
Diese Erneuerung kann zwei Folgen haben. Die Ergänzung bestehender Systeme oder deren Ersatz. Gleiches gilt für Mitarbeiter. Wo heute noch Unternehmen dafür sorgen, dass Kunde und Produkt einander finden, wird ein 3D Drucker künftig schneller, billiger und individueller liefern können und zwar beim Kunden selbst. Ähnlich verhält es sich exemplarisch mit Taxifahrern im Zeitalter autonomen Fahrens. Aber auch Tätigkeiten mit hoher semantischer Tiefe, seien es Ärzte, Anwälte oder Architekten, lassen sich mittels kluger Algorithmen sukzessive ersetzen. Übrig bleibt, was die Maschine (noch) nicht beherrscht, die Mitmenschlichkeit im täglichen Umgang mit dem Kunden.
Da spreche ich nicht von bunten Displays, hinter denen künstliche Intelligenz für Ansprache und Interaktion sorgt, sondern über Arten der Zusammenarbeit, die Menschen miteinander verbindet, ohne sie zu ersetzen. Echte Beratungsleistung also, die weniger auf Wissen als vielmehr Kommunikation aufbaut, denn der Zugang zu Wissen ist jetzt schon größer als wir je auswerten könnten. Empathie, Wertschätzung, Bedürfnisorientierung sind nur drei Schlagworte, die Kunden künftig ebenso erwarten wie es heute schon Ihre Mitarbeiter tun. Im Zeitalter fluider Mitarbeiterströme umso mehr.
Neue Besen braucht das Land
Noch entscheidet nicht die KI, wie es mit der Menschheit weitergeht. Täte sie das, wäre unser Leben am ehesten mit der Massentierhaltung heutiger Fleischproduzenten vergleichbar, reicht es doch, die Biomasse Mensch mit einem Kubikmeter Luft und Versorgungsschläuchen am Leben zu erhalten. Doch wozu? Dystopische Filme nahmen die Zukunft längst vorweg, doch noch hält der Mensch den Stecker in der Hand und mit ihm die Entscheidungsgewalt über unser aller Leben.
Diese Entscheidungen müssen auch in den Unternehmen der Zukunft gefällt werden, dort wo Menschen eine möglichst friedvolle Symbiose mit Maschinen eingehen sollten, um aus der digitalen Transformation nicht als zweiter Sieger hervorzugehen. Dazu braucht es Menschen, die sich ihrer Rolle als Mensch bewusst sind und entsprechend auf die Arbeitsprozesse der Zukunft einwirken. Mitarbeiterführung ist dabei ein wesentlicher Bereich der neuen Arbeitswirklichkeit, in der der Mitarbeiter gleich einem Kunden bedürfnisgerecht behandelt und entsprechend motiviert werden soll und gleichberechtigter Teil der Wertschöpfungskette ist. Der Mensch zählt mehr als das Produkt.
Hektische Markt- und Bedürfnisveränderungen erfordern schnelle Entscheidungen, die in einem transparenten Entscheidungsprozess getroffen werden. In diesen Prozess sollten sämtliche betroffenen Mitarbeiter einbezogen sein, denn je mehr Mitarbeiter sich in ihrer Welt umsehen, die Konkurrenz wahrnehmen und Trends erkennen, desto gewinnbringender sieht die Zukunft des jeweiligen Produktes aus, an dem diese Mitarbeiter gemeinsam mit einer sich integrierenden Führung arbeiten. Flexibilität ist es dann auch, die für eine sich selbstorganisierte Arbeitsstruktur unter den Mitarbeitern in agilen Teams sorgt.
the winner takes it all
Ignorieren Unternehmen alter Schule diese Veränderungen und vertrauen auf ihren bisher klar umrissenen und zum Teil persönlich bekannten Kundenkreis, können disruptive Startups schnell mit einer kleinen Idee um die Ecke kommen, die dem Kunden so viel neue Bequemlichkeit bietet, dass er die alte Geschäftsverbindung aufkündigt und leise Servus sagt. Nokia, Brockhaus, Langenscheidt sind nur ein paar der Kreuze auf dem Friedhof früherer Marktführer. Hinzu kommt das Phänomen digitalen Wirtschaftens, nach dem es keine Nummer zwei am Markt mehr gibt. Wer die meisten Angebote hat, bekommt die meisten Kunden und kann die Marktbedingungen diktieren. Monopole entstehen und verdrängen die übrigen Anbieter vom Markt. Wozu Onlineshops, wenn es Amazon gibt?
Solche Bewegungen am Markt zu erkennen, bedarf sehr guter Antennen und eines kritischen Auges ins Innere des Unternehmens. Sich selbst jeden Tag in Frage zu stellen und notfalls Bewährtes Neuem zu opfern, erfordert Entscheider völlig neuen Zuschnitts. Controller, denen Quartalszahlen heiliger als der Long-Run ihres Unternehmens sind, werden bald der Vergangenheit angehören und das zu Recht. Es ist das Kundeninteresse, das künftig den Takt vorgibt, und nicht Planwirtschaft und Lagerhaltung. Individualität vor Massenware und Preise, die ein Leben neben Steuerwillkür, Mietwucher und Zinsverlusten möglich machen.
Deshalb ist ein enges Zusammenspiel von visionären Generalisten in Führungspositionen und Experten auf dem jeweiligen Fachgebiet ebenso wichtig wie ein Zusammenschluss aller am jeweiligen Produkt beteiligten Mitarbeiter in agilen Teams, die flexibel und zeitnah auf Veränderungen der digitalen Welt reagieren können. Change Management wird die Regel nicht die Ausnahme werden und je modularer Firmen ihre Wertschöpfungskette aufbauen, desto schneller können sie dem Kunden die Wünsche von den Augen ablesen. Üben Sie das schon mal in den Augen Ihrer Mitarbeiter, denn das sind Ihre treuesten Kunden.